Traum im Stau

Streik im Verkehr am 27. März 2023, 7:13

Regelmäßig wiederkehrende Durchsagen im Radio verheißen nichts gutes, schon an der Balanstraße ist Schluß. In Gespensterkostümen gekleidet kommt die ganze Reihe der Verkehrsminister, die nicht nur das hier verbockt haben – Ramsauer, Dobrindt, Schmidt, Scheuer, Wissing – ein furchtbares Defilée. Sie wanken zwischen den dampfenden Autos durch und haben Transparente dabei, die hören sich wie ein Gedicht an:

„Streik ist unbezahlter Urlaub.

Gewerkschaften sind keine Arbeitnehmer.

Kritische Infrastruktur darf nicht bestreikt werden.

Die Ampel ist schuld.

Wir haben nix gemacht.“

Eine Musik gibts auch, ein Hupkonzert hebt an und ein Gejohle, durch das Öffnen der Autotüren versuchen die Geplagten die Prozession anzuhalten. Aber die Geister von CSU und FDP sind nicht zu verscheuchen, nun trampeln sie über die Dächer und Kühlerhauben weiter. Wenigstens sie kommen voran. Gleich sind sie bei mir …

Da hupt mich einer wach: „Hoppla? Was? Grün? Aber es geht doch eh nix voran!“

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Flächige Missachtung des Eigentlichen

zu den Querelen über „Vögel“ von Wajdi Mouawad, Inszenierung am Metropol Theater München 2022

Man muß das Stück „Vögel“ nicht mögen, man muß nicht mal die Inszenierung von Jochen Schölch am Metropoltheater kennen. Es lohnt sich aber, es gelesen zu haben. Rassistische Motive sind von vornherein auszuschließen. So arg kann man diesen Text nicht verhunzen, denn jede Volksgruppe im biblischen Kanaan kriegt ihr Fett weg. Die literarische Qualität des Textes mag nicht besonderes hoch sein, die Relevanz von „Vögel“ in einer von Kriegen, gegenseitigen Verletzungen, Attentaten und Rache zerrissenen Region bleibt unbestritten. Wajdi Mouawad und das gemischte Ensemble, das diesen Text in Paris erarbeitete hat in einen dramaturgisch gelungenen und, vor allem in der Sprachbehandlung, überzeugenden Text geschaffen, der erfolgreich und ohne Gemotze auch in Deutschland zur Aufführung gelangt ist. Aus einer Perspektive ist das Land eben „besetzt“, für Andere ist es das gelobte Land und Vanishing Point einer geplagten Diaspora. Das ist die eine Dimension im Stück, die andere betrifft das Aufflackern der Vergangenheit und der Familienschicksale der beiden Protagonisten.

Zur Chronologie der „Ereignisse“: Mitglieder von Studentenverbänden (wer?) sahen die Aufführung und rührten ein Empörungsszenario an, ohne genau verstanden zu haben worum es geht. Bis heute sind sie die Belege für ihre Behauptungen schuldig geblieben. Man kann nur vermuten, daß der Kern des Stückes, die Beschäftigung mit der schwierigen Beziehung zwischen den Volksgruppen im „heiligen Land“ bei diesen Zuschauern keine Rolle spielte. Dies ist eine bittere und flächige Missachtung des Eigentlichen. Scheinbar kamen nur einzelne Formulierungen auf den Prüfstand. Die breite Diskussion – nicht nur in München – brachte allerdings auch sehr gute Texte zur Verteidigung des Stücks in viele Medien. Diese zusätzliche Publicity mag dem Theater vergönnt sein.

Von Stadt und Land, den Geldgebern des Metropoltheaters war wenig zu hören, sie ließen es im Regen stehen und zogen vorsichtig den Kopf ein, Vogel Strauß lässt grüßen: Religion, Rassismus, Kunst – da ist man eher vorsichtig. Wie so üblich bei derartigen Provinzpossen steht jeder beschädigt da, am Ende: die CSU weiß nicht wie sich verhalten an ihrem rechten Rand, die Religiösen senden wie üblich Denkverbote in alle Welt und die Stadtratsfraktionen jeder Couleur rennen ziellos rum wie verschreckte Hennen. Und in der Wiederaufnahme-Diskussion bekleckert sich das Metropol noch selbst:

Die jüngste Kapriole in der Sache rankt sich um die Wiederaufnahme – sie gereicht dem Metropol Theater nicht zum Ruhm, sondern zur Schmach. Es sollte nämlich keine wirkliche Wiederaufnahme geben, sondern eine opportunistisch zensierte Version der Inszenierung. Die Rechteinhaber wiesen daher den Verlag der Autoren an, auf der Aufführung des kompletten Textes zu bestehen (auch keine echte Wiederaufnahme, aber verständlich). Damit ist eine große Chance zur neutralen Beurteilung vertan. Der (Münchner) Öffentlichkeit wird das Stück „Vögel“ in der Fassung des Metropoltheaters vorenthalten. Aber es läuft ja erfolgreich und ohne ideologisch-politisches Gemetzel auf vielen anderen Bühnen außerhalb Oberbayerns…

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Herrgottsschnitzer und Alte Wilde – Uraufführung an den Kammerspielen München: Emre Akals „Göttersimulation – eine digitale Reise“

Zwei alte Gestalten, „noch rüstig“ würden sie selbst wohl sagen, verhandeln ihr Abgetrenntsein von der Welt vor dem Eisernen Vorhang der Kammerspiele. Abgetrennt nicht nur weil sie aus ihrem Altersheim wohl nicht mehr rauskommen werden vor ihrem Abgang, aber auch weil sie abgehängt sind von der virtuellen Welt ihrer Kinder und erst recht der ihrer Enkel. Selbst einfachste Handy-Tricks sind für die Beiden unerreichbare Zaubereien, es wird ihnen halt nichts gescheit gezeigt. Es geht aber doch um Leben und Tod und Gott und die Welt!

Der Pfleger kommt und setzt ihnen VR Brillen auf, die Beiden tapern über die Schwelle und finden sich in einem bonbon-bunten Gameboy Ambiente wieder, das von Avataren bespukt wird. Die Alten sind ready to die und suchen furchtlos nach Gott, die Fabelwesen – es sind deren acht – sehen sich selbst als sumerische Götter, nicht sehr hilfreich auf dieser Suche.

Es ist eine entsexualisierte, kontaktfreie, ja unbarmherzige Welt, die uns die Bildermacherfamilie Akal da vorführt (Regisseur und Autor Emre, die Bühne und die Virtuelle Welt von Mehmet & Kazim und Erkin als Alter auf der Bühne). Die jugendlichen Götter stecken in fantastischen Skins wie in Fortnite gekauft (einen Stern für die Kostüme für Annika Lu Hermann!) und ein groteskes Karussell sorgt für Abwechslung. Ab und zu schwebt auf einem Zwischenvorhang ein fleischiges (Mutter-) Auge in 3D durch das Geschehen, es erinnert sich und spricht mit verfremdeter Stimme, die Lider sind manchmal wie Lippen geschürzt. Ein grober Soundtrack durchwabert das Alles, es gibt keine Ruhe im virtuellen Raum, es gibt zauberhafte Stimmungen und wirkmächtige Bilder statt Emotionen. Es entsteht tatsächlich eine neue Realität in den alten Kammerspielen dank des gewaltigen optischen Gesamteindrucks (Bühne: Mehmet & Kazim mit Paula Wellmann).

Emre Akal arbeitet mit eigens gecasteten jungen Theaterbegeisteren (11 bis 18 Jahre) die als „Laien“ zu bezeichnen in die Irre führen würde: es sind brilliante Nachwuchstalente, zum größten Teil aus München und Umgebung. Sicher war es ein Wagnis mit diesen sehr jungen Darstellern auf die große Bühne zu gehen, aber es hat sich gelohnt. Mit Microport-Technik werden die zarten Stimmen auf die große Bühne geholt, chorale Sequenzen verstärken die Einzelnen. Die jungen Akteure fühlen sich sichtlich wohl in ihrer Spielzeugwelt, sie kennen die Gefahren und geben ihren Wünschen Kraft durch die Kostüme, die wie Rüstungen sind. Die Acht, Armin Besirevic, Daphne Grauer, Timea Henzler, Martha Kamenisch, Dennis Amir Kharazmi, Jolanda Pusch, Shoukrani Timm und Jakob Waldow spielen intensiv und präsent wie Superhelden. Im Kontrast dazu stehen die beiden Alten, in deren Kopf das ganze Stück abzulaufen scheint: Walter Hess, immer noch mit geübtem Schwebe-Baß zieht Fetzen seines Nicht-Verständnisses aus den Falten seines Hirns, begleitet vom unbeholfenen Gebärdendolmetscher Erkin Akal der seinen Witz einfach nicht zuende bringt. Recht sportlich, die Beiden, aber sie müssen ja am Ball bleiben um mitzukommen. Im Björn Borg Outfit wackeln sie durchs Szenario, staunend, taumelnd, regrediert infantil und senil zugleich.

Ausgehend von dem Begriff „Göttersimulation“ der in Computerspielen das „eine eigene Welt schaffen und verteidigen“ bedeutet, entwickelt Emre Akal ein ganzes Panoptikum an Szenarien, seine Mitteilungskraft ist manchmal zu viel (Text) für die jungen Darsteller. Sein Text ist ein vertracktes Stationendrama, verwebt mit Spielsequenzen und klassischen Motiven (herumtorkeln vor dem Tod erzwingt wohl die Motivik vor „Warten auf Godot“?). Etwas stehen lassen, etwas entstehen lassen ist Emre Akals Sache diesmal nicht. Dem Thema ist dieser Textmix aber durchaus angemessen, wenn man die Unberechenbarkeit der Spielewelt bedenkt. Zusammen mit dem sensationellen Bühnenkonzept entsteht ein hipper Pop-Abend, alles farbig überzuckert, extrem überhöht, Theaterdonner in optisch, es tut fast schon weh beim Hingucken (weggucken gilt nicht).

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Familie im Konditional. THEATER_PERLACH spielt Jean-Luc Lagarce’s “Einfach das Ende der Welt”

Die Geschichte ist schnell erzählt: einer, der lange weg war kommt heim, muß heim, dringend (Louis, gespielt von Janik Kittirath). Was er nicht am Telefon erzählen kann: er stirbt, bald. Doch vom Wegsein ändert sich nichts daheim, Mutter bleibt Mutter (Lena Halve) und die zurück gebliebenen Geschwister eint immer noch dieselbe Reibung (Susanne und Antoine: Therese Lemling und Louis Kuballa). Dazugekommen ist Catherine (Alina Jell), die Frau von Antoine, die viel zu erzählen hat.

Andrea Funk und das Ensemble setzen dem eigentlichen Stück eine Reise durchs Internet voran, souverän und lustig eingeführt von Therese Lemling. Die Darsteller protzen professionell mit ihren Talenten, sind aber gleichzeitig gehetzt vom ständigen Performen. Es ist ein Genuß zuzusehen, wie sie auf höchstem Niveau brillieren: Louis Kuballa breit und bräsig als Larry C – the Number One Angeber, der alle Frauen rumkriegen kann (und dafür kostenpflichtige Apps anbietet), versponnen zart und mit glasheller Stimme Alina Jell, erst als Ukulele-Künstlerin, später als Poetry-Slam-Karikatur, Lena Halve peitscht die Crowd mit einem eigenen Rap auf, Daniel Renzikowski tritt im Video auf, als verquaster Verschwörer der nicht verstanden wird und schließlich tanzt Janik Kittirath zu Disco Sounds und Licht zu Mika’s “Treat me like a Yo Yo”. Am Ende dieses furiosen Potpourris wird Janik zum verlorenen Sohn Louis der seine Heimreise vorbereitet. “Sie wissen es ja noch gar nicht”, ist sein Antrieb. Und so schließt sich der Kreis und “Einfach das Ende der Welt” kann beginnen.

Mit einfachsten Mitteln inszeniert Andrea Funk das Heimkommen das nichts-miteinander-anfangen-können, in einer losen Folge von Szenen. Wie schon in “Was nach dem Damals kommt” (2021) spielen choreografische Elemente eine große Rolle in der Arbeit, sie schaffen Distanz zu dem Gesagten, kontrastieren den Ernst des Stoffes und geben Dominik Preuß, live am Klavier, Gelegenheit für träumerische Interludien. Das sonnendurchflutete Jugendcafé haben Sarah Fischer und Vincent Sollinger (Bühne und Licht) in ein richtiges Theater verwandelt.

Und da ist ja noch der Text von Jean-Luc Lagarce, streckenweise verschwurbelt: konjunktivisch laviert er zwischen den Personen, die nicht sagen können, was sie fühlen. Hätte würde könnte werden sollen alles anders. Manchmal hängt er wie der Tonabnehmer auf einer verkratzten Langspielplatte, reiht Wiederholung an Wiederholung und dreht sich auch im Kreis wie ein Plattenteller. Dieser Text ist der gemeinsame Tonus dieser Familie, und das Ensemble zeigt wunderbar partielle Intimität, temporäre körperliche Verbindung und gelegentlich gemeinsames Schwingen.

“Ich verlass‘ Dich, Scheiss-Familie”, wie es im Untertitel heißt, ist eben nicht so einfach und eher Behauptung als Programm: Familie geht nicht ab und bleibt vorhanden, da mag man so weit weggehen wie man will. Auch wenn sich die Protagonisten gegeneinander aufbringen und abstoßen, aneinander vorbeireden oder sich beinahe physisch übersehen, lieben sie sich doch auf die eigentümliche familiäre Weise: da bestehen von Außen undurchdringliche Geheimnisse (zum Beispiel was wer wie wo ist eigentlich der Vater?), notorische Versäumnisse (wieso ist keiner zu Louis in die Stadt gefahren wenn es doch so naheliegend gewesen wäre?). In einer langen, melodisch wogenden Schlußszene endet das Ganze, Louis fährt ab und stirbt später. Er hat es ihnen nicht gesagt.

Noch am 9. und 10. Juli 2022, Jugendcafé Hochäckerstraße 78, 81737 München

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Teppichseelenlandschaft. THEATER_PERLACH spielt „Was nach dem Damals kommt“

Von Carl Ansberg, 15. Juli 2021

Es ist eigentlich ganz einfach: Maja, Jamie, Lola, Finn, Bob – äh Robert und Raffael haben sich seit Leistungskurs und Abitur nicht mehr gesehen. Nun haben sie sich an einem Abend verabredet, so eine Art Klassentreffen der Coolen. Die Gewohnheiten von Früher sind jetzt andere, jeder war ins Leben geworfen, hatte das Abitur geschafft und war dann erstmal ein orientierungsloses Nichts. Darunter zu entdecken: die Reste vom Auseinandergerissensein, das stets Verdrängte, das Nachgetragene und das Glorifizierte. „Einfach kompliziert“ hätte Thomas Bernhard gesagt.

Die Schauspieler*innen Emilie Fleury, Clara Prokop, Lidia Doğan, Niklas D. Klose, Louis Kuballa und Daniel Renzikowski sind genau in dem Alter und bringen viel Biografisches ein. Leiterin Andrea Funk schafft aus dem Material, das über 6 Monate in wöchentlichen Zoom-Konferenzen entstand, ein echtes Stück, mit tragenden Bögen und einer eleganten Verschränkung der Szenen. Von Anfang an setzt sie non-verbale Akzente mit kleinen, sparsam choreografierten Reigen. Das höfische Motiv, die strengen Bewegungen, schaffen einen Ruhepunkt zur berichteten Realität.

Daniel Renzikowski als Robert; Bild (c) 2021, Ferdinand Leopolder

Maja (klar, verspielt, eindringlich: Emilie Fleury) will endlich weg, nicht wie die Möwe nach Moskau, aber immerhin nach Amsterdam. Sie trägt ihr Herz auf den Lippen und nimmt uns mit in ihre Träume und Wünsche. Jamie (mal affektiert plappernd, mal nachdenklich und doch bestimmt: Clara Prokop) ist die Macherin, hat die Partyhüte und die Limo von ihrem auf dem Bau sauer verdienten Geld besorgt. Sie will mit straffer Organisation „beef“ vermeiden und ist als ehemalige Schulsprecherin prädestiniert zur Streitschlichterin. Ganz anders Lola (introvertiert, aber auch frech und fordernd: Lidia Doğan): einst Partynudel und Beauty Queen, ist sie jetzt abstinent und Jura-Studentin „weil ich mich immer nicht entscheiden konnte, habe ich beschlossen, Richterin zu werden, da lerne ich das“. Der große Clown Finn (nuancenreich, gekonnt chargierend: Niklas D. Klose), der so viel nachträgt und selbst so viel fordert, zieht durchtrieben die Fäden im Männerlager, er nimmt seine alte Fehde mit Raffael (nachdenklich, locker und intensiv: Louis Kuballa) wieder auf, der im Fitness-Studio arbeitet und erwischt wurde als er Steroide vertickte. Robert (offen und dabei zögerlich, ehrlich: Daniel Renzikowski) gehört eigentlich da nicht dazu, er, der mit dem Porsche und der Rolex wurde zufällig getroffen und gefragt und ist tatsächlich gekommen.

Das bestens aufgelegte Ensemble zeigt uns seine Lebensentwürfe in dieser schwierigen Phase: kaum weg, unterwegs, nirgends angekommen als in der Unsicherheit. Da kann man schwer auf dem sprichwörtlichen (und in diesem Fall extrem unebenen) Teppich bleiben. Entscheidungen verpuffen, scheinbar festes, wird wattig, ist flüchtig, zerbröselt beim Nachfühlen und Nachdenken. Feste Beziehungen haben die meisten noch keine, aber klare, komisch-dogmatische Vorstellungen vom anderen Geschlecht. Es entspinnen sich anrührende (teilweise nachgeholte) Liebesszenen, überraschende Entdeckungen, stockende Geständnisse und alberner Quatsch.

Sophie Leopolder hat eine anheimelnde, jedoch unebene, unsichere Bühnenlandschaft aus Teppichen gestaltet. Darüber hängen Papierstreifen, flirrende Irritation, poetisches Hindernis – vor Allem bei den Projektionen verursachen sie schöne Bildstörungen. Durch diese paar Eingriffe und ein bißchen Molton wird aus einem Jugendcafé ein echter Theaterraum. Die anfänglichen technischen Störungen bei den ersten, Live vom Handy eingespielten Szenen fielen auf, aber nicht ins Gewicht: wie oft saß man in den letzten Monaten vor der Kiste und fluchte „wieso geht jetzt mein Ton nicht? Warum ist mein Bild so verzerrt?“. Therese Lemlings Kostüme sind festlich, historisierend und unterstreichen das bühnenhafte, barocke des Abends, der mit der Pastorale von Arcangelo Corelli im Spiegelsaal von Versailles endet. 

Aus dem Nichts so ein Abend: Respekt, wobei „Nichts“ stimmt ja so nicht: die Schauspieler*innen sind alle schon in Projekten der Kammerspiele, des Festspielhauses, dem Gärtnerplatztheater, dem Resi und der Schauburg aufgetreten und Andrea Funk hat schon mehrere Stücke geschrieben und inszeniert (zum Beispiel „Herz aus Gift“, „Planet Neuperlach“). Und doch: mitten im Neubauviertel, in einem Jugendcafé (des Falken Feizeitstätten Vereins) gleich an der Friedhofsmauer gabs so was bestimmt noch nicht. 

Ein bezaubernder Abend.

Hier passiert was am Rande von München.

Schön.

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Jelineckisch: Jovana Reisinger’s Roman „Still halten“

„Still halten“ ist ein Roman über Eine in drei Personen. Über Eine auf ihrem Weg zum Arzt und eine Diagnose („krank im Kopf“), die Beerdigung der Mutter und ihre Heimkehr aus der Vorstadt, raus aufs Land. Jovana Reisinger ist ein fesselndes Grusical gelungen das eigentlich leicht daherkommt aber sehr bald abstürzt ins Alleinsein. Doch da ist der Leser schon zu gefesselt um das Buch wegzulegen. Reisinger schreibt derb und bleibt doch persönlich und mitfühlend, auch wenns manchmal zynisch wird. Ständig wechselt der Roman „Still halten“ von der Perspektive der Ich-Erzählerin in die entfernteren Sichtweisen auf „die Frau“ zu „den Frauen“ im Allgemeinen – was frau eben so ausmacht und was von ihr erwartet wird, speziell von dieser Frau und wie eben jene sich selbst fühlt und sieht: ein schöner Körper, umstellt vom Leben, krank in der Seele, entwurzelt nach dem Tod der Mutter und zurückgeworfen ins Elternhaus. Das wiederum ist auf dem Dorf und doch nicht, bedrohlich nah am Wald und quasi umstellt von der Tierwelt.

Von Anfang an hat „die Frau“ die Seuche am Socken: leere Strassen in der Vorstadt, mal eine Bewegung eines Vorhangs und bums, rennt sich die Depperte die Nase an, stets sind übrigens Krähen in der Nähe. Sie ist eingesperrt in sich, in der Vorstadt wie auf dem Dorf. Sie kann nicht weg von sich, mit sich, selbst wenn die Mutter todkrank im Spital liegt kommt sie nicht rechtzeitig. Außer zu ihrem Mann („dem Mann“) hat sie kaum noch Kontakt, er und andere Personen bleiben gesichtslos und werden nur durch ihre Funktion charakterisiert, der Mann dringt ein, der Pfleger pflegt, der Jäger schießt, die Burschen hauen die Bäume um. Fast alle trinken ordentlich. Allein am Wald, nur ab und zu besucht von Jäger, Pfleger und Burschen werden die Alpträume der Frau Wirklichkeit.

Ihre Projektionen werden greifbar. Die Schäferhunde des Vaters (und er selbst) sind schon lange tot, sie muß sich selber schützen. Der Mann kommt zu spät, aber früher wäre es eh schon zu spät gewesen.

Jovana Reisinger schreibt diesen Roman in „österreichischem Stil“, nimmt bewusst Dialektausdrücke, Satzstellungen und Formulierungen auf und beugt und hinterfragt diese in taktischen Wiederholungen. Der Dialekt durchwirkt die Erzählung und verortet die Protagonistin, ist aber gleichzeitig ein wirksames Vehikel um die generell bedrohliche Atmosphäre zu etablieren. Die Bedeutung von Redewendungen („die können mich gern haben“) und ihre Absurdität wird einerseits klar und doch verschwimmen sie im Text, verändern sich, genau wie die Sichtweise auf die Protagonistin. Das erinnert an Elfriede Jelineks assoziative Text-(weiter)-Entwicklung, ist aber hier ein eigenständiges Stilmittel um die Dramaturgie des Alleinseins, der Abkehr von der Welt darzustellen. Trotz des Sujets läßt sich Reisinger nicht zur Psychologisierung des Sprache hinreißen, sie erklärt nichts, sondern beschreibt wortstark, und hier hilft diese Dialekt-Kunstsprache enorm.

Richtig lesenswert:

Jovana Reisinger: Still halten. Roman. Verbrecher Verlag, Berlin 2017. 200 Seiten, 19,00 EUR. ISBN: 978-3-95732-273-9

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Kleine Kleinode. Fassbinder zum 75.

Münchner Künstler schenken (Video-) Miniaturen

In nur fünf Wochen sind sieben brilliante, äußerst unterschiedliche Beiträge entstanden, jeder einzelne für sich sehenswert. Annette Paulmann und ihr Hund (Name? Ich hasse es wenn Haustiere nicht anständig vorgestellt werden!) moderierten vom heimischen Sofa aus und verliehen auch dem Spendenaufruf für die kleinen (Arthouse-) Kinos in München Nachdruck.

Das Ganze wurde einmalig gescreent, am Pfingstsonntag, den 31. Mai 2020, von acht Uhr abends bis Mitternacht. Wie eine echte Geburtstagsfeier. Das werden viele verpasst haben, nehme ich an – Tagesschau – Tatort – Pfingsten … Hier ist ein Appell an Fassbindertage e.V. angebracht: macht die Filme nochmal zugängig, auch für die Medienjunkies und Nachtsurfer, die sich treiben lassen im nie versiegenden Fluss von Informationen und Anregungen im weltweiten Netz!

Daß die Künstler solche Geschenke für Fassbinder in so kurzer Zeit professionell umsetzten, liegt meines Erachtens drei Faktoren: die Zugkraft und Faszination Fassbinders, das Brachliegen der eigenen Kreativität in Zeiten der Krise und der Spaß an der Arbeit. Anmerkung hier: daß auch ein Verein sowas in so kurzer Zeit (und gerade zu dieser Zeit) stemmen kann spricht für einen regen, gut verknüpften Freundeskreis, der wohl bereits bei den ersten (2010) und den zweiten Fassbindertagen (2015) Basis und Stütze („family“) war. Einige Namen kennt man auch von daher.

Den Anfang macht Jovana Reisinger mit ihrem Film „Die klaffende Wunde“. In kräftiger Nachmittagssonne sitzt eine grüne Petra und will nicht gestört werden. Sie wird von einer gelben Marta angesprochen, die sagt, dass es einer abwesenden Maria nicht gut geht. Diese Petra spielt – angeblich im Pyjama – großartig dösend und doch scharf und unberechenbar Julia Riedler. Ironisch: als wenn man von Fassbinder nur die Namen nehmen dürfte, ohne daß einem die Foundation gleich reingrätscht. Luxuriöses Rumhängen und Dahindämmern am See. Stillstand. Doch es geht in dem Dialog der Marta mit der Petra nicht nur um sich synchronisierende Menstruationszyklen, sondern um das Nichts Wollen, die Wunsch- und Antriebslosigkeit als Zustand.

Michele Cuciuffo hat eine Schlüsselszene aus dem Fassbinder-Film „In einem Jahr mit 13 Monden“ gewählt: er erzählt konzentriert den verstörenden Traum der Seelenfrieda von dem Friedhof mit den seltsamen Grabinschriften. In einer einzigen ruhigen, dunklen Einstellung, manchmal verdoppelt durch den Badezimmerspiegel, zeigt er das in sich eingekerkert sein und die gleichzeitige Hoffnung auf ein Draußen, auf eine Chance, wenn man die nur gehabt hätte. Somnambul, hoffend und dann das Ganze wieder schnoddrig wegwischend blättert er uns diesen wunderbaren Fassbinder-Text auf, der heute so aktuell ist wie 1978. Kamerafrau Lilli-Rose Pongratz (stand wohl mit dem Stativ in der Badewanne?), gab Cuciuffo nur eine große Taschenlampe mit, sie akzentuiert mit Schärfenwechseln und sparsamen Schwenks mal den gespiegelten, mal den wirklichen Schauspieler im Profil.

Ganz anders geht Christian Wagner zu Sache: Für sein fake documentary „Null Komma Null“ inszeniert er perfekt die siebziger Jahre (1978 genauer) mit allem drum und dran. Wagner geht so weit, dass er sogar große Teile seines Films tatsächlich in Super 8 drehen lässt (große Leistung von Kameramann Kay Gauditz). Ein Filmteam aus Bollywood ist auf den Spuren des Genies Rainer Werner Fassbinder nicht in München, sondern in Bad Wörishofen gelandet (knapp daneben). Was schon als Mißverständnis anfängt, wächst sich ganz schnell zu einer echten Komödie aus. Traute Hoess erzählt den Indern, was sie hören wollen und noch ein bisschen mehr und kommt damit ganz nah an die Fassbinder-Legende. Authentische Details werden vermischt mit Halbwahrem und verquirlt mit reiner Erfindung. Mit am Set: genau jene ARRI 16 BL, die Fassbinder für „Berlin Alexanderplatz“ benutzt hat. Ungewöhnlich lang ist diese Miniatur geraten, aber sie war jede Minute wert.

Nun folgt ein rührender Anruf von Ingrid Caven bei Andrea Funk vom Fassbindertage e.V. Dieses Telefonat ist mit wackeligen Handybildern und Einblendungen der Diva in Szene gesetzt, wie ein Youtube Musik Video, aber eben doch live. Die große Caven strahlt eine Ruhe und Konzentriertheit aus, man hört ihr ihr Alter gar nicht an. Ihre Stimme klingt leicht und entspannt, manchmal fast jugendlich, es ist ihr ernst, wenn sie den Kinos viel Glück wünscht. Sie hat innig an Rainer gedacht und berichtet eine Episode von ihrer Trauung mit ihm in Feldkrichen bei München. Dann singt und kommentiert sie „Nimm das Glück in die Hand“ von Peer Raben. Hach.

Anna McCarthy beschwört in „Spirit of Fassbinder Conspiracy“ vor Ort in Bad Wörishofen seinen Geist auf ganz konkrete Weise. Nymphen tanzen vor Fassbinders Geburtshaus, sammeln ihre Kraft, Nebel fluten am hellichten Tag und schmerzhaft kumuliert die Musik. Tatsächlich: frisch rasiert tritt der Geist Rainer Werner Fassbinders durch die geschlossene Tür auf den Balkon des Hauses. Grauen verbreitet seine Rede und Fluch, doch die Maskenfrauen sind vorbreitet: etwas respektlos saugen sie den Geist mit einem marktgängigen Staubsauger ein. Frau weiß sich eben zu helfen! Sie transportieren ihn in einem alten Volvo ab – bange Frage: wohin? Anna McCarthy hat eines der wenigen Genres entdeckt, das Fassbinder selbst nie ausprobiert hat: den Gruselfilm. Dieses Video geht unter die Haut, auch wegen der nervenaufreibenden Musik von Annas Bruder Nick.

Sehr viel Gegenwartsbezug hat Emre Akal’s Arbeit „12qm Körperformation“. In Corona-Isolation hat er sich mit seinem Bruder Kazim Akal mithilfe von Virtual Reality Brillen verkabelt. Sie trafen sich von irgendwo im Nirgendwo, in einem gemeinsamen virtuellen Raum (Kazim ist Teil der „kissing cousins“ Mehmet & Kazim, deren letztjährige Abschlussinstallation an der Münchner Akademie im Juni 2019 damals sicher eines der Highlights war). Emre Akal hat ein bedrückendes Familiendrama geschrieben, das mit virtuellen Knetfiguren nachgestellt wird. Vergangenheit und Gegenwart sind vermischt, sein Stück spielt in einem virtuellen Theater. Mysteriöse Stimmen, Gewitter, das quietschende Bewegen der Drehbühne schaffen eine düstere, beklemmende Atmosphäre. Bittere Ironie ist der Applaus zu Beginn und am Ende. Emre Akal bezeichnet den Kurzfilm als „Previsual“. Wenn das so viel heißt wie „Vorstudie“, dann will ich mehr davon. Bald.

Den Abschluß bestreiten Martin Kindervater und Olaf Becker. „l’anniversaire blanc“ ist ein schwüles, aufs feinste vorbereitetes Geburtstagsfest oder besser ein lauerndes Rendezvous in verzögert melodramatischer Manier. So paradox das klingen mag: still sitzend umkreisen sich die beiden Protagonisten, das ist mit wuchtigen close-ups und statischen Gegenschnitten erzählt. Sie ziehen sich an, ermuntern sich gegenseitig und stoßen sich bellend, reflexartig wieder ab und auseinander. Das ganze umweht „Polaroïd Cocaine“, gesungen von Ingrid Caven. Man fühlt sich zurückversetzt in Fassbinders Wohnung im Gärtnerplatzviertel, in der sich 1978 Armin Meier, ausgeschlossen von Fassbinders 33. Geburtstag, das Leben genommen hat.

Eigentlich waren die Fassbindertage 2020 wohl als echtes Theaterfestival geplant, mit Münchner Künstlern und bayrischen Theatern und einer kleinen Tour durchs Land. Mit richtigen Zuschauern halt. Nach zwei krisenbedingten Verschiebungen und eskalierenden Terminschwierigkeiten entschied sich der Fassbindertage e.V., die Planung dafür vorerst auszusetzen (man hört es soll 2021 so weit sein) und ein virtuelles Fest zu Fassbinder’s 75. zu organisieren. Ideen gab es schon und Neues kam hinzu. Sehenswert, wenn man das noch könnte.

weitere Informationen: website des Fassbindertage e.V.

 

 

 

 

 

 

 

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Die Zukunft ist schon vorbei. Emre Akal’s „Nur Ihr wisst, ob wir es geschafft haben werden“

zur Uraufführung von Emre Akal’s „Nur Ihr wisst, ob wir es geschafft haben werden“ am Ayse X Staatstheater (aka Hoch X), München.

Wo anfangen – wo aufhören? Das wird sich Emre Akal auch gefragt haben bei der Konzipierung seines neuesten Stücks. Vor oder nach der Apokalypse, eben wenn alle viralen Netze bereits versagt haben und die Menschheit schon über viele Generationen entscheidende Kulturtechniken vergessen haben: was gut schmeckt oder schlecht zum Beispiel (die verabreichten weißen Plastiktüten sehen nicht appetitlich aus), womit man was macht (ein Kamm ist keine Gießkanne, das eine Teil gießt nicht gscheit, das andere kämmt überhaupt nicht) und last but not least: die Sprache. Wobei die über eine abgeflachte Welt wankenden, fleischfarbig-zerrissenen Gestalten sich wohl eh nicht so viel zu sagen hätten. Schreien können sie nur noch, laut, atonal im Chor, und essen, gemeinsam, vereinzelt (die Notdurft erspart uns der Regisseur/Autor).

Die ganze Zivilisation muß neu gelernt werden in dieser düsteren Vision, und somit gemahnen die verblieben Wesen an die ersten aufrecht gehenden Affen in Stanley Kubrick’s 2001. Von außen und kaum beachtet kommt ein geduldiger, gemütlicher Gott, gespielt von Erkin Akal, Emre’s Vater. In seinem Prolog beschreibt er seine Vorstellung von der Zukunft, gespeist auf seinen realen Erfahrungen mit Militärdiktatur und Ausgrenzung, Flucht. Da kommt auch nur Ruhe, Friede, Liebe, raus, aber Erkin Akal gelingt die Verbindung dank eigenem Erleben fabelhaft. Kindisch freut sich der 79-jähruge, daß er endlich mal eine Sprechrolle hat in einem Stück seines Sohnes, eine gute Entscheidung des Autors. Xaver Unterholzner (Bühne) hat eine geschundene, erodierte Fläche geschaffen, in durchsichtige Plastikfolie verpackt und das ganze mit einer großen Projektionsfläche abgeschlossen auf der die Wetterverhältnisse der Endzeit, tags und nachts gezeigt werden. Genug Raum für Akal’s Bewegungstheater, in dem die wippenden namenlosen Protagonisten (durchweg gut, daher alphabetisch: Melek Erenay, Adi Hrustemović, Željko Marović, Jasmina Musić, Mara Widmann, Çağlar Yiğitoğulları) zu Menschen mutieren können. Als Gruppe, chorisch summend oder sprechend und später auch einzeln zeigen sie, wie sie sich anhand von gefundenen Gegenständen eine Erinnerung zusammenbasteln und in Märchenkostüme schlüpfen (Kostüm: Melina Poppe). Verwoben wird das Ganze von Mathis Nitschke’s Tonspur und Musik, die zwischen Sphärenklängen auch mal krasse Gewitter blendet (meist zum Szenenwechsel).

Schon der Titel des Stücks „Nur Ihr wisst, ob wir es geschafft haben werden“ beschreibt die Ungewissheit dieser Zeitreise, die Ziellosigkeit des Unterfangens. Wenn angekommen wird, dann höchstens im irgend- oder nirgendwo. Daß daraus keine nennenswerten dramatischen Bögen sprießen ist systemimmanent. Und wo Reden erst gelernt wird kann man keine Shakespeare-Monologe erwarten. Wenn keiner mit dem andern redet, gibts auch keinen Dialog. Aber so eine vage Situation kommt Akal gerade recht, er konzentriert sich auf die Stimmung und den Bewegungsduktus seiner Figuren und entwickelt daraus eine metamorphische Choreografie. Schöne Bilder bleiben so haften, die die Entwicklung neuer Wesen begleiten. Verständlich ist das nicht, aber vielleicht ist das nur der Beginn der Auseinanderstzung mit einer Zukunft ohne Inhalt? Herbert Achternbusch zum Thema Zukunft: A: „Das waren einmal die Alpen“. B: „Mein Gott, wenn das die Bayern wüßten.“

 

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Schlechteres Stadttheater: der Riss durch die Welt

zur Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs „der Riss durch die Welt“ am Cuvilléstheater in München

Einen Riss durch die Welt, durch die Gesellschaft, das gibt es durchaus, denkt man und bereitet sich vor auf Soziales am Theater. Daß es dann ganz undifferenziert anders kommt kann man ja nicht wissen: Roland Schimmelpfennig, scheinbar ein wichtiger Dramatiker (Programmheft!) hat im Auftrag des Residenztheaters unter der neuen Intendanz von Andreas Beck ein Stück geschrieben: „Der Riss durch die Welt“, Tilmann Köhler hat das inszeniert. In einem abstrakten Bühnenbild, möbliert mit vier barocken Stühlen (Bühne Karoly Risz) bewegen sich zwei Paare und das Mädchen, das zum Haus gehört. Das Haus („die Hütte“) ist ein mondänes Chalet mit einem wunderbaren Ausblick über die (Basler?) Alpenwelt, das Tal bis zum Horizont gehört wahrscheinlich auch mit dazu (das ganze Rheintal?). Dort oben ist es so ruhig daß die ganze Zeit die Schauspieler schreien müssen wenn sie ihre Albträume haben. Und zwischendurch platte „Conversation“.

Sie sind dort oben quasi Shining-mässig eingesperrt so ganz ohne Handy, und ein Aufzug (oder eine U-Bahn) voller Blut spielt auch noch eine Rolle. Die Reichen Tom (Oliver Stokowski) und Sue (Carolin Conrad) unterstellen den Armen, der kreativen Sophia (Lisa Stiegler) und ihrem Lover Jared (Benito Bause) daß sie ihnen ans Geld wollen. Das Mädchen (Cathrin Strömer), das eigentliche Proletariat, kommentiert gehässig die Szenerie.

Viel mehr läßt sich leider nicht sagen über Schimmelpfennigs Dramolett das dann allerhand alttestamentarische Plagen zitiert aber ansonsten die Figuren ohne (weiter-) Entwicklung läßt. Und auch Tilmann Köhlers Regie läßt die Schauspieler arg im Regen (oder Hagel) stehen. Sie jodeln immer höher und lauter, sie chargieren vor sich hin was ihnen so zu den Rollen eingefallen ist und leiden fürchterlich unter ihren vorgeschrieben Albträumen. Das ist platt, undifferenziert und ohne Tiefe. Es macht den Zuseher einsam nach einer halben Stunde, ratlos, weil nichts mehr erwartet werden kann. Die Bühnenbewegungen sind ausgereizt, die Gläser werden weiter wütend an die Wand geschmissen, es hagelt mal theatral und das Geld ist verbrannt. Die einzige Rettung: die sphärische Live-Musik von Dorothea Bender/Svenja Hartwig (Flügelhorn, Windspiel) und Matthias Krieg (ist das tatsächlich eine Glasorgel die er da unsichtbar spielt?).

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So geht Tschechow nicht. Drei Schwestern, Kammerspiele München

Schön anzusehen: Susanne Kennedy’s Drei Schwestern an den Kammerspielen.

von Carl Ansberg

Auf eine gewisse Art trifft Susanne Kennedy das Tschechowsche Landleben schon – die Endlosigkeit russischer Sommertage, die Wiederholungen des immer Gleichen, das schicksalhaft Verwobene der Charaktere, ja auch die Langeweile fängt sie gut ein. Allerdings bleibt das Dialogische, die Geschwätzigkeit, die Koketterie, die Tagträumei auf der Strecke. Ist ja auch kein Wunder, Kennedy bedient sich aus Drei Schwestern wie aus einem Steinbruch. Mit gefühlt zehn markanten Sätzen hangelt sie sich durch den ganzen Abend. Gebraucht sie die Drei Schwestern einfach nur, um das melancholische spät-zaristische Landidyllen-Mäntelchen nicht extra selbst stricken zu müssen? So geht Tschechow wirklich nicht.

Aber eine tolle Kennedy’sche Multi-Media Show, eine Kombination aus Video, Installation und Texten sind die Drei Schwestern an den Kammerspielen allemal: eine Bühne im eigentlichen Sinn gibt es nicht mehr, die Stellen wo sich was bewegt sind eigentlich nur Projektionsflächen. Ein kleiner schmaler Kasten hängt mitten in einer riesigen Leinwand, von Laufschrift umflossen. Darin finden sich manchmal anonymisierte Figuren, oder deren verpixelte Abbilder, es geht wohl um Ewigkeit an einem nicht näher bestimmten Ort. In Kombination mit einer mal wummernden, mal ächzenden, mal ahnungsvoll dräuenden Tonspur ergeben sich verblüffende Effekte, die Voiceovers und das Gehampel der maskierten Pantomimen schaffen sogar stellenweise so etwas wie Komik. Hat man sich mal darauf eingelassen erschließt sich ein schöner Abend. Man hat Spaß am Erforschen der minimalen Veränderungen einzelner wiederholter Szenen. Kennedy hat ein gutes Gefühl für ihre Mittel, setzt elegant Bögen und Akzente, so bleibt der Abend kompakt und konsistent in seiner Fremdartigkeit.

Das Loop-hafte, Ausweglose gibt es ja schon bei Tschechow, dort ein durchaus beabsichtigter Nebeneffekt – aber eben nicht die einzige Idee der Drei Schwestern. Kennedy reduziert diesen Aspekt auf die Frage: was passiert eigentlich nach den drei Schwestern? Nach Moskau kommt bei Tschechow eh niemand, die Schwestern nicht, kein Kirschbaumholz und auch die Möwe Nina bleibt in der Provinz sitzen. Kennedy geht es wohl eher ums bildliche, plakative, das Gesamtkunstwerk, nicht im wagernischen Sinne sondern als Werksplitter, als momentane Ausformung ihrer künstlerischen Fantasie. Mit den Waffen des Stadttheaters und ihrer Masche der Ent-Individualisierung der Schauspielertheaters (Masken in Kombination mit Voice-Overs).

Die Absenz von Gesichtern, Texten, Dialogen, ganz grob gesagt von Inhalt und Handlung ist schon frappant, nicht nur bei Susanne Kennedy. Bewegung ertarrt zur Pose, der Raum gerinnt zu Pixeln, die Rollen sind völlig aufgelöst. Generell stellt sich die Frage – sind die Theatermacher zu jung um was erlebt zu haben? Warum lassen sie nicht die Finger von den Klassikern, nutzen sie nur als Bergwerk und umranken die Versatzstücke mit ein paar Ideen? Das ist doch zu einfach, zu vorraussetzunglos konsumierbar – aber für neue Theatergängerschichten gedacht?

Dann aber gleich mal andersrum gedacht! Gebären wir Zuschauer in unserer Orientierungslosigkeit und Stoffüberflutung nicht solche Theatermacher wie Susanne Kennedy? Einer bei der man schon vorher weiß, wo man dran ist? Erdrücken wir sie nicht mit unserer eindimensionalen Erwartung „ah ja, die Kennedy, die ist berühmt, das ist modern, mit Masken, Video und so“? Das wäre auch eine Erklärungsmöglichkeit für Kennedys besessene Arbeit an ihrem Alleinstellungsmerkmal maskiertes Theater. Ich wünsch den Mondtags, den Raus und auch der Kennedy die Freiheit alles anders zu machen als von ihnen erwartet. Interessant ist ihre Arbeit sowieso.

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