Münchner Künstler schenken (Video-) Miniaturen
In nur fünf Wochen sind sieben brilliante, äußerst unterschiedliche Beiträge entstanden, jeder einzelne für sich sehenswert. Annette Paulmann und ihr Hund (Name? Ich hasse es wenn Haustiere nicht anständig vorgestellt werden!) moderierten vom heimischen Sofa aus und verliehen auch dem Spendenaufruf für die kleinen (Arthouse-) Kinos in München Nachdruck.
Das Ganze wurde einmalig gescreent, am Pfingstsonntag, den 31. Mai 2020, von acht Uhr abends bis Mitternacht. Wie eine echte Geburtstagsfeier. Das werden viele verpasst haben, nehme ich an – Tagesschau – Tatort – Pfingsten … Hier ist ein Appell an Fassbindertage e.V. angebracht: macht die Filme nochmal zugängig, auch für die Medienjunkies und Nachtsurfer, die sich treiben lassen im nie versiegenden Fluss von Informationen und Anregungen im weltweiten Netz!
Daß die Künstler solche Geschenke für Fassbinder in so kurzer Zeit professionell umsetzten, liegt meines Erachtens drei Faktoren: die Zugkraft und Faszination Fassbinders, das Brachliegen der eigenen Kreativität in Zeiten der Krise und der Spaß an der Arbeit. Anmerkung hier: daß auch ein Verein sowas in so kurzer Zeit (und gerade zu dieser Zeit) stemmen kann spricht für einen regen, gut verknüpften Freundeskreis, der wohl bereits bei den ersten (2010) und den zweiten Fassbindertagen (2015) Basis und Stütze („family“) war. Einige Namen kennt man auch von daher.
Den Anfang macht Jovana Reisinger mit ihrem Film „Die klaffende Wunde“. In kräftiger Nachmittagssonne sitzt eine grüne Petra und will nicht gestört werden. Sie wird von einer gelben Marta angesprochen, die sagt, dass es einer abwesenden Maria nicht gut geht. Diese Petra spielt – angeblich im Pyjama – großartig dösend und doch scharf und unberechenbar Julia Riedler. Ironisch: als wenn man von Fassbinder nur die Namen nehmen dürfte, ohne daß einem die Foundation gleich reingrätscht. Luxuriöses Rumhängen und Dahindämmern am See. Stillstand. Doch es geht in dem Dialog der Marta mit der Petra nicht nur um sich synchronisierende Menstruationszyklen, sondern um das Nichts Wollen, die Wunsch- und Antriebslosigkeit als Zustand.
Michele Cuciuffo hat eine Schlüsselszene aus dem Fassbinder-Film „In einem Jahr mit 13 Monden“ gewählt: er erzählt konzentriert den verstörenden Traum der Seelenfrieda von dem Friedhof mit den seltsamen Grabinschriften. In einer einzigen ruhigen, dunklen Einstellung, manchmal verdoppelt durch den Badezimmerspiegel, zeigt er das in sich eingekerkert sein und die gleichzeitige Hoffnung auf ein Draußen, auf eine Chance, wenn man die nur gehabt hätte. Somnambul, hoffend und dann das Ganze wieder schnoddrig wegwischend blättert er uns diesen wunderbaren Fassbinder-Text auf, der heute so aktuell ist wie 1978. Kamerafrau Lilli-Rose Pongratz (stand wohl mit dem Stativ in der Badewanne?), gab Cuciuffo nur eine große Taschenlampe mit, sie akzentuiert mit Schärfenwechseln und sparsamen Schwenks mal den gespiegelten, mal den wirklichen Schauspieler im Profil.
Ganz anders geht Christian Wagner zu Sache: Für sein fake documentary „Null Komma Null“ inszeniert er perfekt die siebziger Jahre (1978 genauer) mit allem drum und dran. Wagner geht so weit, dass er sogar große Teile seines Films tatsächlich in Super 8 drehen lässt (große Leistung von Kameramann Kay Gauditz). Ein Filmteam aus Bollywood ist auf den Spuren des Genies Rainer Werner Fassbinder nicht in München, sondern in Bad Wörishofen gelandet (knapp daneben). Was schon als Mißverständnis anfängt, wächst sich ganz schnell zu einer echten Komödie aus. Traute Hoess erzählt den Indern, was sie hören wollen und noch ein bisschen mehr und kommt damit ganz nah an die Fassbinder-Legende. Authentische Details werden vermischt mit Halbwahrem und verquirlt mit reiner Erfindung. Mit am Set: genau jene ARRI 16 BL, die Fassbinder für „Berlin Alexanderplatz“ benutzt hat. Ungewöhnlich lang ist diese Miniatur geraten, aber sie war jede Minute wert.
Nun folgt ein rührender Anruf von Ingrid Caven bei Andrea Funk vom Fassbindertage e.V. Dieses Telefonat ist mit wackeligen Handybildern und Einblendungen der Diva in Szene gesetzt, wie ein Youtube Musik Video, aber eben doch live. Die große Caven strahlt eine Ruhe und Konzentriertheit aus, man hört ihr ihr Alter gar nicht an. Ihre Stimme klingt leicht und entspannt, manchmal fast jugendlich, es ist ihr ernst, wenn sie den Kinos viel Glück wünscht. Sie hat innig an Rainer gedacht und berichtet eine Episode von ihrer Trauung mit ihm in Feldkrichen bei München. Dann singt und kommentiert sie „Nimm das Glück in die Hand“ von Peer Raben. Hach.
Anna McCarthy beschwört in „Spirit of Fassbinder Conspiracy“ vor Ort in Bad Wörishofen seinen Geist auf ganz konkrete Weise. Nymphen tanzen vor Fassbinders Geburtshaus, sammeln ihre Kraft, Nebel fluten am hellichten Tag und schmerzhaft kumuliert die Musik. Tatsächlich: frisch rasiert tritt der Geist Rainer Werner Fassbinders durch die geschlossene Tür auf den Balkon des Hauses. Grauen verbreitet seine Rede und Fluch, doch die Maskenfrauen sind vorbreitet: etwas respektlos saugen sie den Geist mit einem marktgängigen Staubsauger ein. Frau weiß sich eben zu helfen! Sie transportieren ihn in einem alten Volvo ab – bange Frage: wohin? Anna McCarthy hat eines der wenigen Genres entdeckt, das Fassbinder selbst nie ausprobiert hat: den Gruselfilm. Dieses Video geht unter die Haut, auch wegen der nervenaufreibenden Musik von Annas Bruder Nick.
Sehr viel Gegenwartsbezug hat Emre Akal’s Arbeit „12qm Körperformation“. In Corona-Isolation hat er sich mit seinem Bruder Kazim Akal mithilfe von Virtual Reality Brillen verkabelt. Sie trafen sich von irgendwo im Nirgendwo, in einem gemeinsamen virtuellen Raum (Kazim ist Teil der „kissing cousins“ Mehmet & Kazim, deren letztjährige Abschlussinstallation an der Münchner Akademie im Juni 2019 damals sicher eines der Highlights war). Emre Akal hat ein bedrückendes Familiendrama geschrieben, das mit virtuellen Knetfiguren nachgestellt wird. Vergangenheit und Gegenwart sind vermischt, sein Stück spielt in einem virtuellen Theater. Mysteriöse Stimmen, Gewitter, das quietschende Bewegen der Drehbühne schaffen eine düstere, beklemmende Atmosphäre. Bittere Ironie ist der Applaus zu Beginn und am Ende. Emre Akal bezeichnet den Kurzfilm als „Previsual“. Wenn das so viel heißt wie „Vorstudie“, dann will ich mehr davon. Bald.
Den Abschluß bestreiten Martin Kindervater und Olaf Becker. „l’anniversaire blanc“ ist ein schwüles, aufs feinste vorbereitetes Geburtstagsfest oder besser ein lauerndes Rendezvous in verzögert melodramatischer Manier. So paradox das klingen mag: still sitzend umkreisen sich die beiden Protagonisten, das ist mit wuchtigen close-ups und statischen Gegenschnitten erzählt. Sie ziehen sich an, ermuntern sich gegenseitig und stoßen sich bellend, reflexartig wieder ab und auseinander. Das ganze umweht „Polaroïd Cocaine“, gesungen von Ingrid Caven. Man fühlt sich zurückversetzt in Fassbinders Wohnung im Gärtnerplatzviertel, in der sich 1978 Armin Meier, ausgeschlossen von Fassbinders 33. Geburtstag, das Leben genommen hat.
Eigentlich waren die Fassbindertage 2020 wohl als echtes Theaterfestival geplant, mit Münchner Künstlern und bayrischen Theatern und einer kleinen Tour durchs Land. Mit richtigen Zuschauern halt. Nach zwei krisenbedingten Verschiebungen und eskalierenden Terminschwierigkeiten entschied sich der Fassbindertage e.V., die Planung dafür vorerst auszusetzen (man hört es soll 2021 so weit sein) und ein virtuelles Fest zu Fassbinder’s 75. zu organisieren. Ideen gab es schon und Neues kam hinzu. Sehenswert, wenn man das noch könnte.
weitere Informationen: website des Fassbindertage e.V.